Seekrankheit! Oder wenn Dir das mit dem Segeln nochmal durch den Kopf geht.

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seekrank muss nicht sein

Die Geissel des Hobby-Skippers und der Segel-Crew ist die gern zu Törnbeginn einsetzende Kinetose oder auch Seekrankheit.

Ich selbst habe auch so meine Erfahrungen damit sammeln dürfen, bin also alles andere als immun dagegen.

Lebhaft erinnere ich mich an meinen ersten „Segel – Törn“, den ich durchnässt und frierend im Cockpit eines vor sich hinschaukelnden Seelenverkäufers mit bekifft-besoffenem Skipper, eingeklemmt zwischen meterhohen Kabbel-Wellen auf der Strecke von La Gomera nach El Hierro „durchleiden“ durfte.
Niemals hätte ich damals gedacht, das soooo viel in einen Magen passt.

Und ganz klar war auch: Auf ein Segelboot setze ich garantiert keinen Fuss mehr!
Das war im Februar 1993.

Wie es mir gelungen ist, mit der Seekrankheit Frieden zu schliessen und wie ich einen „Revier-Versöhnungstörn“ zwischen den Kanarischen Inseln schliesslich nicht nur überlebt, sondern wirklich genossen habe, erfährst Du, wenn Du hier weiterliest.

Seekrankheit und deren Bekämpfung ist eines der unter Skippern wohl am heissesten diskutierten Themen.
Jeder hat sein Hausmittelchen und schwört auf den einen oder anderen Weg mit diesem Übel umzugehen. Geht mir genau so. So wie ich es bei mir mache, kann ich ziemlich sicher sein, wenn überhaupt, dann nur kurz beeinträchtigt zu werden.

Das ist meiner Meinung nach auch schon der erste Ansatz zur „Heilung“ der Seekrankheit: Du musst von Deiner Methode der Seekrankheits-Bekämpfung überzeugt sein und dieser vollständig vertrauen.

Denn Seekrankheit entsteht zu allererst im Kopf: Wer Angst hat Seekrank zu werden, wird auch Seekrank.
Da hilft dann nur noch der Griff in die „Hammer-Medi“-Kiste mit den entsprechenden Nebenwirkungen wie Benommenheit, Sehstörungen, Müdigkeit etc. Ein Crew-Mitglied, das permanent unter der Wirkung von Antihistaminika, Neuroleptikas oder Pflastern mit Skopolamin oder Atropin steht, ist für einen Skipper in der Regel nicht vollwertig einsetzbar.

So besteht für mich der erste Schritt darin, die Seekrankheit zu akzeptieren.
Ich weiss, das mir schlecht wird, wenn ich nach langer Zeit das erste Mal wieder auf See gehe und mit Wellenbewegungen konfrontiert werde, die es daheim am Neuenburgersee nicht gibt.

Neuere Forschungen haben aufgezeigt, das der lange vermutete Zusammenhang zwischen Auge und (fehlinformiertem) Gleichgewichtssinn nicht in dem Masse Seekrankheit hervorruft, wie angenommen. Schliesslich erkranken auch blinde Menschen an Kinetose.

1997 beschrieb Prof. Dr. Hans Scherer von der FU Berlin in ESYS bereits in einem Nebensatz den vermuteten Zusammenhang zwischen der Histaminkonzentration im Blut und der Anfälligkeit für Seekrankheit. 2006 schliesslich fand Dr. Reinhard Jarisch, Leiter des Floriansdorfer Allergiezentrums in Wien, heraus das die Einnahme von Vitamin C reichen Nahrungsmitteln vor und während dem Törn, die Seekrankheit und die damit verbundenen Beschwerden erheblich vermindern kann.

Wenn man diese Theorie mal ganzheitlich auf einen normalen Törnverlauf betrachtet, fällt mir recht schnell auf, warum ich jeweils Seekrank geworden bin und wo ich etwas anders hätte machen können:

  • Stress und Müdigkeit von der langen Anreise mit dem Flugzeug werden ignoriert. Am Abend ist die Yacht übernommen und es geht zum Crewessen.
    Erschöpfung, Müdigkeit und Stress lassen dem Körper keine Zeit, Histamin abzubauen.Also: Ausreichend früh in die Koje. Morgens ausgeschlafen auf Position und entspannt los!
  • Das erste Abendessen ist in der Regel reichhaltigst mit lokalen Spezialitäten gesegnet. Sprich Meeresfrüchte, Rotwein, Tomaten … Alles schwer Histaminreiche Kost.Verzichte auf Tomaten, Fisch, Meeresfrüchte, Käse und Mayonaise etc. Ess lieber etwas leichtes, Vitamin-C reiches. Vor allem Früchte. Früchte darf man immer essen! Wirklich immer! Kann man gar nicht genug bunkern, in den ersten Tagen…
  • Gerne wird ein „wenig“ mehr Alkohol getrunken, als für das Essen und die Geselligkeit nötig. Am nächsten Morgen, beim Auslaufen kommt mit dem „Kater“ die Quittung dafür.Wenn es schon gar nicht ohne Alkohol geht: Die 50/50 Regel hilft dir weiter. Auf jedes Glas Wein oder Bier kommt ein Glas Mineralwasser oder, noch besser, Fruchtsaft mit viel Vitamin C. Orangensaft, Mango etc. Du hast damit doppelt gewonnen: Der Kater fällt geringer aus und Dein Vitamin-C Spiegel sollte gegen Seekrankheit helfen.
  • Nach dem Auslaufen aus dem Hafen stellt man erstaunt fest, das es ja „draussen“ viel kühler ist als im Hafen. Aber es ist ja Morgens, wird ja gleich warm…
    Wird es nicht! Zumindest nicht, bevor man zu frieren beginnt. Und das Frieren ist für mich ein Haupt-Auslöser für Seekrankheit. Wer sich unwohl fühlt und friert, igelt sich ein und die Seekrankheit hat ein leichtes Spiel.
  • Die Crew ist, wenn unerfahren, nicht genügend gebrieft, auf das, was draussen auf sie zukommt.
    Keine Horrorgeschichten, sondern einfach im Rahmen des Security-Briefings und beim Anpassen der Lifebelts kurz erwähnen, das die Ölzeugjacke in Griffnähe eine gute Idee ist, wenn es mal beginnt zu spritzen.
    Das langt i.d.R. schon um Sicherheit und Kompetenz zu markieren und Unsicherheit bei einzelnen Crewmitgliedern gar nicht erst aufkommen zu lassen.
  • Die unselige „Zweidrittel – Eindrittel“ Törnregel, nach der zwei Drittel der Törndistanz im ersten Drittel der Zeit gefahren werden sollen, verleitet zum „Meilenbolzen“ in der für den Magen empfindlichen Zeit, dem ersten Törndrittel. Ich nehme hier einen Charter-Standard-Törn von einer Woche an 😉
    Wenn es sich nicht ausdrücklich um einen Meilentörn handelt, passe Deine Törnplanung so an, dass der Crew Zeit zum Gewöhnen an die ungewohnten Umstände gegeben wird. Für einwöchige Törns sind Reviere wie die Kanarischen Inseln weniger gut geeignet als der Golf von Fethye in der Türkei. Deine Crew wird es Dir danken.
  • Der Skipper gibt sich betont locker, steht mit der Bierdose an der Pinne und dreht sich lässig zwischendurch noch einen Joint.
    Hab ich genau so erlebt, 1993. Und mir vor Unsicherheit die Lunge aus den Hals gekotzt. Der Mensch hatte noch nicht mal Schwimmwesten an Bord.
    Ein Fischer hatte uns vor dem Ablegen noch den Vogel gezeigt und irgendwas von „Loco“ gebrüllt… Zwei Stunden später wusste ich was er meinte …
    Sicherheit und Kompetenz zu vermitteln ist das A und O eines seriösen Skippers. Und damit gleichzeitig eines der wirksamsten Mittel gegen Seekrankheit seiner Crew. Verständnisvolles eingehen auf die Beschwerden und indiduelles Gewöhnungsprogramm (Rudergehen, aufs Vorschiff mitnehmen, etc.) bringt mehr als manches Pflaster.

Daneben gibt es noch eine ganze Palette mehr an Mitteln gegen Seekrankheit, die man als Skipper zumindest kennen sollte.
Sehr gut funktionieren soll z.B. das Kauen auf kleinen Ingwer-Stückchen. Kann man ja bunkern, den Ingwer – Dann hat man was zum ausprobieren.

Ich persönlich halte nichts davon, Finger aufeinander zu pressen. Aber wenn es hilft, ist es gut. Man muss halt dran glauben und Versuch macht klug.
Wieso also nicht einem Crewmitglied alternative Methoden zur Bekämpfung von Seekrankheit empfehlen? Es ist erstaunlich was alles funktioniert, wenn man dran glaubt.

Wenn bei mir nichts mehr hilft, hilft übrigens Stugeron. Mit Stugeron (Wirkstoff: Cinnarizin) konnte ich jeweils, wenn alle Stricke rissen, die Seekrankheit recht schnell in den Griff bekommen. Die Einnahme war jeweils, wenn überhaupt, nur in den ersten beiden Tagen eines Törns von nöten. Man sollte daher immer wieder versuchen, ob es auch „ohne“ geht, anstatt den ganzen Törn über Blind „Stuggies“ einzunehmen und ggfls. die Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen.

Ich freue mich übrigens, wie immer, auf Kommentare zu meinen Artikeln. Nur so als kleiner Hinweis darüber, das ich mich auch über Kritik freue 😉

7 Kommentare
  1. Rainer
    Rainer sagte:

    Ja, Stugeron hilft wirklich. Als wir auf einem dreiwöchigen Segeltörn im Mittelmeer waren, nahmen wir täglich eine Kapsel Stugeron. Quasi vorbeugend. Doch eines Tages vergass ich, diese einzunehmen. Alle anderen nahmen die Kapsel ein. Die See war an diesem Tag rau, und der Wellengang erheblich. Ich wurde – als Einziger – seekrank, und lag 3 Stunden auf Deck am erbrechen, mit einer Lifeline gesichert. Das ist der Beweis, dass Stugeron wirklich wirkt.

    Antworten
  2. HP Moeckli
    HP Moeckli sagte:

    Hi,

    Schon mal was von Mal de Débarquement Syndrom „Landkrankeit“ gehört?

    https://www.youtube.com/watch?v=FkTDavHubaw&t=22s

    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59690/Mal-de-Debarquement-Syndroms-erfolgreich-behandelt

    Hat jemand eine Lösung oder einen Behandlungsvorschlag.
    Leide bereit über 5 Wochen nach einer längeren Kreuzfahrt an einer dauernden Schiffsbewegung(schaukeln, rollen) obwohl ich mich an Land und auf festem Grund befinde.

    Herzlichen Dank

    Antworten
  3. Manuela Escobar
    Manuela Escobar sagte:

    Ich habs gerade… Ganz kleines Boot, ganzer Tag im Atlantik, Portugal. Frieren, erbrechen, Kopfschmerzen. Liegen geht, sitzen und gehen gar nicht mehr. Saumässig schlechtes Gefühl! Kannte ich bisher nicht!!

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  4. Rolf Landmesser
    Rolf Landmesser sagte:

    Thema Seekrankheit.
    Aus meiner Erfahrung kann ich eine Methode empfehlen, die keine Nebenwirkungen hat.
    Aus der chinesischen Heilkunde gibt es viele Punkte an unserem Körper, die auf Druck reagieren.
    Gegen Seekrankheit wird empfohlen, den sog. Nei- Kuan- Punkt zu stimulieren.
    Es handelt sich um ein Armband, ähnlich einer Armbanduhr, das eine höhenvertellbare Plastikschraube beinhaltet
    Wenn das Band drei Finger breit vom Handgelenk entfernt,umgeschnallt wird und der Druck auf den darunter liegenden Teil des Unterarms spürbar eingestellt wird, ist Sense mit Kotzen.
    Selbst ausprobiert in mehreren Situationen, ohne Nebenwirkung.
    Unvernünftige Nahrungsaufnahme, gleich ob fest oder flüssig, konterkariert natürlich solche Maßnahmen.
    Merke : probieren geht über studieren.
    Mast und Schotbruch, rodila

    Antworten
  5. Uschi
    Uschi sagte:

    Hallo Uwe,
    ich habe im Mai 2012 bei meiner ersten Kreuzfahrt im Mittelmeer bei Windstärke 10 aus Angst davor, evtl. seekrank zu werden, vorsorglich ein Stugeron genommen. Nachts wurde ich wach und der Seegang war stärker. Ich nahm noch ein Stugeron und schlief gut ohne Beschwerden. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass in der Nacht Wind bis Stärke 12 gemessen wurde und etliche Passagiere in der Krankenstation waren.

    Diese Woche mache ich wieder eine Kreuzfahrt, und zwar auf der berühmt-berüchtigten Strecke Richtung Bergen/Norwegen. Mein Stugeron ist schon eingepackt und ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Eine Stunde bevor wir den Nord-Ostsee-Kanal verlassen werde ich wie oben beschrieben verfahren und gehe davon aus, dass Neptun mich auch dieses Mal verschonen wird.

    Schiff ahoi und liebe Grüße
    Uschi

    Antworten
  6. Daester Heinz
    Daester Heinz sagte:

    Lieber Siteskipper

    Ich habe mit grossem Interesse deinen Artikel gelesen und bin mit vielem einverstanden.

    Ich persönlich gewichte die psychologische Komponente als nicht ganz so bedeutungsvoll wie Du, bin aber andrerseits auch der Meinung, dass das Verhalten (Skipper, Crew, Einzelperson) eine Rolle spielt. Für mich ist der Kern der Sache physiologisch bedingt, ohne aber den psychologischen Einfluss verneinen zu wollen.

    Nach 17jähriger Tätigkeit als Skipper und über 17000 SM Erfahrung stelle ich fest, dass kein sanftes Mittelchen je wirklich etwas bei anfälligen Crewmitgliedern genützt hat.

    Stugeron half bislang am besten – aber auch nicht bei allen Crewmitgliedern gleich gut. Bei Einigen war gar keine nennenswerte Wirkung da. Stärker beeinträchtigende Nebenwirkungen konnte ich bislang noch bei niemandem feststellen.

    Vitamin C in hohen Dosen hilft offensichtlich auch, aber ebenfalls nicht bei allen.

    Mit freundlichem Gruss
    Heinz Ernst Daester

    Antworten

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